Die Weisse Rose
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An einem Morgen hörte ich auf der Schultreppe eine Klassenkameradin zur andern
sagen: ‘Jetzt ist Hitler an die Regierung gekommen.’ Und das Radio und alle
Zeitungen verkündeten: ‘Nun wird alles besser werden in Deutschland. Hitler hat
das Ruder ergriffen .’Zum erstenmal trat die Politik in unser Leben.
Hans war damals 15 Jahre alt, Sophie 12.
Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und
Heimatliebe . Das imponierte uns, und wir horchten begeistert auf wenn wir in der
Schule oder auf der Strasse davon sprechen hörten. Denn unsere Heimat liebten
wir sehr, die Wälder, den Fluss und die alten, grauen Steinriegel , die sich
zwischen den Obstwiesen und Weinbergen an den steilen Hängen emporzogen . Wir
hatten den Geruch von Moos , von feuchter Erde und duftenden Äpfeln im Sinn, wenn
wir an unsere Heimat dachten. Und jeder Fussbreit war uns dort vertraut und lieb.
Das Vaterland, was war es anderes als die grössere Heimat all derer , die die
gleiche Sprache sprachen und zum selben Volke gehörten. Wir liebten es und
konnten kaum sagen, warum. Man hatte bisher ja auch nie viele Worte darüber
gemacht. Aber jetzt, jetzt wurde es gross und leuchtend an den Himmel
geschrieben. Und Hitler, so hörten wir überall, Hitler wolle diesem Vaterland zu
Grösse, Glück und Wohlstand verheffen; er wolle sorgen, das jeder Arbeit und
Brot habe; nicht ruhen und rasten
wolle er, bis jeder einzelne Deutsche ein
unabhängiger, freier und glücklicher Mensch in seinem Vaterland sei. Wir fanden
das gut, und was immer wir dazu beitragen konnten, wollten wir tun. Aber noch
etwas anderes kam dazu, was uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriss . Es
waren die kompakten marschierenden Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen
,
den vorwärtsgerichteten Augen und dem Trommelschlag und Gesang. War das nicht
etwas Überwältigendes, diese Gemeinschaft? So war es kein Wunder, dass wir alle,
Hans und Sophie und wir anderen, uns in die Hitlerjugend einreihten.
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Wir waren mit Leib und Seele dabei, und wir konnten es nicht verstehen, dass
unser Vater nicht glücklich und stolz ja dazu sagte. lm Gegenteil, er war sehr
unwillig darüber, und zuweilen sagte er: ‘Glaubt ihnen nicht, sie sind Wölfe und
Bärentreiber, und sie missbrauchen das deutsche Volk schrecklich.’
Und manchmal verglich er Hitler mit dem Rattenfänger von Hameln, der die Kinder
mit seiner Flöte ins Verderben gelockt hatte. Aber des Vaters Worte waren in den
Wind gesprochen, und sein Versuch , uns zurückzuhalten, scheiterte an unserer
jugendhaften Begeisterung.
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Wir gingen mit den Kameraden der Hitlerjugend auf
Fahrt und durchstreiften in weiten Wanderungen unsere neue Heimat, die
Schwäbische Alb. Wir liefen lange und anstrengend , aber es machte uns nichts aus;
wir waren zu begeistert, um unsere Müdigkeit einzugestehen . War es nicht
grossartig, mit jungen Menschen plötzlich etwas Gemeinsames und Verbindendes zu
haben, denen man sonst vielleicht nie nähergekommen wäre
? Wir trafen uns zu den
Heimabenden, es wurde vorgelesen und gesungen, oder wir machten Spiele oder
Bastelarbeiten
. Wir hörten, dass wir für eine grosse Sache leben sollten. Wir
wurden ernst genommen, in einer merkwürdigen Weise ernst genommen, und das gab
uns einen besonderen Auftrieb. Wir glaubten, Mitglieder einer großen,
wohlgegliederten Organisation zu sein, die alle umfasste und jeden würdigte , vom
zehnjährigen Jungen bis zum erwachsenen Mann. Wir fühlten uns beteiligt an einem
Prozess, an einer Bewegung, die aus der Masse Volk schuf. Manches, was uns anödete oder einen schalen Geschmack, würde sich schon geben - so
glaubten wir. Einmal sagte eine fünfzehnjährige Kameradin im Zelt, als wir uns
nach einer langen Radtour unter einem weiten Sternenhimmel zur Ruhe gelegt
hatten, ziemlich unvermittelt: ‘Alles wäre so schön - nur die Sache mit den
Juden, die will mir nicht hinunter.’ Die Führerin sagte, dass Hitler schon
wisse, was er tue, und man müsse um der grossen Sache willen manches Schwere und
Unbegreifliche akzeptieren. Das Mädchen jedoch war mit dieser Antwort nicht ganz
zufrieden, andere stimmten ihr bei, und man hörte plötzlich die Elternhäuser aus
ihnen reden. Es war eine unruhige Zeltnacht - aber schließlich waren wir doch zu
müde. Und der nächste Tag war unbeschreiblich herrlich und voller Erlebnisse .
Das Gespräch der Nacht war vorläufig vergessen.In unseren Gruppen entstand ein
Zusammenhalt, der uns über die Schwierigkeiten und die Einsamkeit jener Entwicklungsjahre hinwegtrug, vielleicht auch hinwegtäuschte.
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Wie aber war es möglich, daß in unserem Volke so etwas an die Regierung kommen
konnte?’ ‘In einer Zeit grosser Not’, so erklärte uns der Vater, ‘kommt allerlei
nach oben. Schaut, welche Zeiten wir durchzustehen hatten: zuerst den Krieg,
dann die Schwierigkeiten der
Nachkriegszeit , Inflation und grosse Armut. Darauf Arbeitslosigkeit.
Wenn dem Menschen erst die
die nackte Existenz untergraben ist und er die Zukunft nur noch wie eine
graue, undurchdringliche Wand sieht - dann hört er auf
Versprechungen und Verlockungen, ohne zu fragen, wer sie macht.’ ‘Aber
Hitler hat ja sein Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, gehalten!’
‘Das bestreitet auch niemand. Aber fragt nicht, wie! Die
Die Kriegsindustrie hat er angekurbelt , Kasernen werden gebaut ... Wisst
ihr, wo das endet? . . . Er hätte es selbst auf dem Wege über die
Friedensindustrie schaffen
können, die Arbeitslosigkeit
zu beseitigen -in der Diktatur ist das leicht genug zu erreichen. Aber
wir sind doch kein Vieh , das
mit einer vollen Futterkrippe
allein zufrieden ist. Die
materielle Sicherheit allein wird nie genügen, uns glücklich zu machen.
Wir sind doch Menschen, die ihre freie Meinung, lhren eigenen Glauben haben.
Eine Regierung, die an diese Dinge rührt, hat
keinen Funken Ehrfurcht mehr vor dem Menschen. Das aber ist das erste,
was wir von ihr verlangen müssen.’
Auf einem weiten Frühlingsspaziergang hatte sich dieses Gespräch zwischen dem
Vater und uns entsponnen. Und wir hatten uns wieder einmal alle Fragen und Zweifel gründlich vom Herzen geredet.
'Ich möchte nur, dass ihr gerad und frei
durchs Leben geht, wenn es auch schwer ist’, hatte der Vater noch gesagt.
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Wir gingen mit den Kameraden der Hitlerjugend auf
Fahrt und durchstreiften in weiten Wanderungen unsere neue Heimat, die
Schwäbische Alb. Wir liefen lange und anstrengend , aber es machte uns nichts aus;
wir waren zu begeistert, um unsere Müdigkeit einzugestehen . War es nicht
grossartig, mit jungen Menschen plötzlich etwas Gemeinsames und Verbindendes zu
haben, denen man sonst vielleicht nie nähergekommen wäre
? Wir trafen uns zu den
Heimabenden, es wurde vorgelesen und gesungen, oder wir machten Spiele oder
Bastelarbeiten
. Wir hörten, dass wir für eine grosse Sache leben sollten. Wir
wurden ernst genommen, in einer merkwürdigen Weise ernst genommen, und das gab
uns einen besonderen Auftrieb. Wir glaubten, Mitglieder einer großen,
wohlgegliederten Organisation zu sein, die alle umfasste und jeden würdigte , vom
zehnjährigen Jungen bis zum erwachsenen Mann. Wir fühlten uns beteiligt an einem
Prozess, an einer Bewegung, die aus der Masse Volk schuf. Manches, was uns anödete oder einen schalen Geschmack, würde sich schon geben - so
glaubten wir. Einmal sagte eine fünfzehnjährige Kameradin im Zelt , als wir uns
nach einer langen Radtour unter einem weiten Sternenhimmel zur Ruhe gelegt
hatten, ziemlich unvermittelt: ‘Alles wäre so schön - nur die Sache mit den
Juden, die will mir nicht hinunter .’ Die Führerin sagte, dass Hitler schon
wisse, was er tue, und man müsse um der grossen Sache willen manches Schwere und
Unbegreifliche akzeptieren. Das Mädchen jedoch war mit dieser Antwort nicht ganz
zufrieden, andere stimmten ihr bei, und man hörte plötzlich die Elternhäuser aus
ihnen reden. Es war eine unruhige Zeltnacht - aber schließlich waren wir doch zu
müde. Und der nächste Tag war unbeschreiblich herrlich und voller Erlebnisse .
Das Gespräch der Nacht war vorläufig vergessen.In unseren Gruppen entstand ein
Zusammenhalt
, der uns über die Schwierigkeiten und die Einsamkeit jener Entwicklungsjahre hinwegtrug, vielleicht auch hinwegtäuschte
.
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Hans hatte sich einen Liederschatz gesammelt, und seine
Jungen hörten es gerne, wenn er zur Gitarre sang. Es waren nicht nur die Lieder
der Hitlerjugend, sondern auch Volkslieder aus allerlei Ländern und Völkern. Wie
zauberhaft klang doch solch ein russisches oder norwegisches Lied in seiner
dunklen, ziehenden Schwermut. Was erzählte es einem nicht von der Eigenart jener
Menschen und ihrer Heimat.
Aber nach einiger Zeit ging eine merkwürdige Veränderung in Hans vor, er war
nicht mehr der alte. Etwas Störendes war in sein Leben getreten. Nicht die
Vorhaltungen des Vaters waren es, nein, denen gegenüber konnte er sich taub stellen.
Es war etwas anderes.
Die Lieder sind verboten, hatten ihm Die Führer gesagt.
Und als er darüber lachte, hatten sie ihm mit Strafen gedroht. Warum sollte er
diese Lieder, die so schön waren, nicht singen dürfen? Nur weil sie von anderen
Völkern ersonnen waren? Er konnte es nicht einsehen; es bedrückte ihn, und seine Unbekümmertheit begann zu schwinden.
Auf einem weiten Frühlingsspaziergang hatte sich dieses Gespräch zwischen dem
Vater und uns entsponnen. Und wir hatten uns wieder einmal alle Fragen und Zweifel gründlich vom Herzen geredet.
'Ich möchte nur, dass ihr gerad und frei
durchs Leben geht, wenn es auch schwer ist’, hatte der Vater noch gesagt.
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Zu dieser Zeit wurde er mit einem ganz besonderen Auftrag ausgezeichnet. Er
sollte die Fahne seines Stammes zum Parteitag nach Nürnberg tragen.Seine Freude war gross.
Aber als er zurückkam, trauten wir unseren Augen kaum. Er sah müde aus, und in
seinem Gesicht lag eine grosse Enttäuschung. Irgendeine Erklärung durften wir
nicht erwarten. Allmählich erfuhren wir aber doch, dass die Jugend, die ihm dort
als Ideal vorgesetzt wurde, völlig verschieden war von dem Bild, das er sich von
ihr gemacht harte. Dort Drill und Uniformierung bis ins persönliche Leben hinein
- er aber hätte gewünscht, das jeder Junge das Besondere aus sich machte, das in
ihm steckte. Jeder einzelne Kerl
hätte durch seine Phantasie, seine Einfälle und
seine Eigenart die Gruppe bereichern helfen sollen. Dort aber, in Nürnberg,
hatte man alles nach einer Schablone ausgerichtet. Von Treue hatte man
gesprochen, bei Tag und Nacht. Was aber war denn der Grundstein aller Treue:
zuerst doch die zu sich selbst ... Mein Gott! In Hans begann es gewaltig zu
rumoren.
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Bald darauf beunruhigte ihn ein neues Verbot. Einer der Führer harte ihm
das Buch seines Lieblingsdichters aus der Hand genommen, Stefan Zweigs ‘Sternstunden
der Menschheit’. Das sei verboten, hatte man ihm gesagt. Warum? Darauf gab es
keine Antwort. Über einen anderen deutschen Schriftsteller, der ihm sehr gefiel,
hörte er etwas Ähnliches. Er hatte aus Deutschland fliehen müssen, weil er sich
für den Gedanken des Friedens eingesetzt hatte.
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Schliesslich aber war es zum offenen Bruch gekommen. Hans war schon vor
längerer Zeit zum Fähnleinführer befördert worden. Er hatte sich mit seinen
Jungen eine prachtvolle Fahne mit einem grossen Sagentier genäht. Die Fahne war
etwas Besonderes; sie war auf den Führer geweiht, und die Jungen hatten ihr Treue gelobt , weil sie das Symbol ihrer Gemeinschaft war. Aber eines Abends, als
sie mit der Fahne angetreten waren, zum Appel vor einem höheren Führer, war eine
unerhörte Geschichte passiert. Der Führer hatte plötzlich unvermittelt den
kleinen Fahnenträger, einen fröhlichen zwölfjährigen Jungen, aufgefordert, die
Fahne abzugeben.‘Ihr braucht keine besondere Fahne. Haltet euch an die, die für
alle vorgeschrieben ist.’ Hans war tief betroffen . Seit wann das? Wusste der
Stammführer nicht, was gerade diese Fahne für seine Gruppe bedeutete? War das
nicht mehr als ein Tuch, das man nach Belieben wechseln konnte? Noch einmal
forderte der andere den Jungen auf, die Fahne herauszugeben. Der blieb starr
stehen, und Hans wusste, was in ihm vorging und dass er es nicht tun würde. Als
der höhere Führer den Kleinen zum drittenmal mit drohender Stimme aufforderte,
sah Hans, dass die Fahne ein wenig bebte. Da konnte er nicht länger an sich
halten. Er trat still aus der Reihe heraus und gab diesem Führer eine Ohrfeige.
Von da an was er nicht mehr Fähnleinführer.
BRON 10
Der Funke quälenden Zweifels, der in Hans erglommen war, sprang auf uns
alle über. In jenen Tagen hörten wir auch eine Geschichte von einem jungen
Lehrer, der auf rätselhafte Weise verschwunden war. Er war vor eine SA-Gruppe
gestellt worden, und alle mussten an ihm vorbeiziehen und ihm ins Gesicht
spucken - auf Befehl. Darauf hatte den jungen Lehrer niemand mehr gesehen. Er
war in einem Konzentrationslager verschwunden. ‘Aber was hatte er denn getan?’
fragten wir seine Mutter mit angehaltenem Atem. ‘Nichts, nichts, rief die Frau
verzweifelt. ‘Er war eben kein Nationalsozialist, er konnte halt da nicht
mitmachen, das war sein Verbrechen.’
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Mein Gott! Wie da der Zweifel, der bisher nur ein Funke war, erst zu
tiefer Trauer wurde und dann zu einer Flamme der Empörung aufloderte. In uns
begann eine gläubige, reine Welt zu zerbrechen, Stück um Stück. Was hatte man in
Wirklichkeit aus dem Vaterland gemacht? Nicht Freiheit, nicht blühendes Leben,
nicht Gedeihen und Glück jedes Menschen, der darin lebte. Nein, eine Klammer um die andere hatte man um Deutschland gelegt, bis allmählich alles wie in einem
grossen Kerker gefangen sass.‘Was, Vater, ist ein Konzentrationslager? Er
berichtete uns, was er wusste und ahnte , und fügte hinzu: ‘Das ist Krieg. Krieg
mitten im tiefsten Frieden und im eigenen Volk. Krieg gegen den wehrlosen,
einzelnen Menschen, Krieg gegen das Glück und die Freiheit seiner Kinder. Es ist
ein furchtbares Verbrechen.’War aber die quälende Enttäuschung vielleicht nur
ein böser Traum, von dem wir am andern Morgen erwachen würden? In unseren Herzen
entbrannte ein heftiger Kampf. Wir versuchten, unsere alten Ideale gegen alles,
was wir erlebt und gehört harten, zu verteidigen.‘Weiss denn der Führer etwas
von den Konzentrationslagern ?’‘Sollte er es nicht wissen, da sie nun schon
Jahre existieren und seine nächsten Freunde sie eingerichtet haben? Und warum
hat er nicht seine Macht benützt, um sie sofort abzuschaffen? Warum ist es jenen,
die daraus entlassen wurden, bei Todesstrafe untersagt, etwas von ihren
Erlebnissen zu erzählen?’In uns erwachte ein Gefühl, als lebten wir in einem
einst schönen und reinen Haus, in dessen Keller hinter verschlossenen Türen
furchtbare, böse, unheimliche Dinge geschehen. Und wie der Zweifel langsam von
uns Besitz ergriffen hatte, so erwachte nun in uns das Grauen, die Angst, der erste winzige Keim einer grenzenlosen Unsicherheit.
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‘Wie aber war es möglich, daß in unserem Volke so etwas an die Regierung kommen
konnte?’ ‘In einer Zeit grosser Not’, so erklärte uns der Vater, ‘kommt allerlei
nach oben. Schaut, welche Zeiten wir durchzustehen hatten: zuerst den Krieg,
dann die Schwierigkeiten der
Nachkriegszeit , Inflation und grosse Armut. Darauf Arbeitslosigkeit.
Wenn dem Menschen erst die
die nackte Existenz untergraben ist und er die Zukunft nur noch wie eine
graue, undurchdringliche Wand sieht - dann hört er auf
Versprechungen und Verlockungen, ohne zu fragen, wer sie macht.’ ‘Aber
Hitler hat ja sein Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, gehalten!’
‘Das bestreitet auch niemand. Aber fragt nicht, wie! Die
Die Kriegsindustrie hat er angekurbelt , Kasernen werden gebaut ... Wisst
ihr, wo das endet? . . . Er hätte es selbst auf dem Wege über die
Friedensindustrie schaffen
können, die Arbeitslosigkeit
zu beseitigen -in der Diktatur ist das leicht genug zu erreichen. Aber
wir sind doch kein Vieh , das
mit einer vollen Futterkrippe
allein zufrieden ist. Die
materielle Sicherheit allein wird nie genügen, uns glücklich zu machen.
Wir sind doch Menschen, die ihre freie Meinung, lhren eigenen Glauben haben.
Eine Regierung, die an diese Dinge rührt, hat
keinen Funken Ehrfurcht mehr vor dem Menschen. Das aber ist das erste,
was wir von ihr verlangen müssen.’
Die Weisse Rose
Sophie Scholl
Hans Scholl
Copyright: Albert van der Kaap, 2010